500Words 1: Stadt/Land

Wenn ich heute durch Berlin fahre, frage ich mich oft warum Menschen dort überhaupt noch wohnen wollen, geschweige denn das Opfer zu bringen bereit sind, diese exorbitanten Mieten und Folgekosten, die eine Stadt nunmal mit sich bringt.
Ich bin bereits 2013 ganz an den Rand gezogen, habe mir aber schon 2008 mit meiner Frau ein Grundstück am See ca, 35 km nördlich von Berlin gekauft, in der Vorahnung, das auch die Stadtrandlage irgendwann nicht mehr reichen wird. Und so wird es auch sein, geplant sind hier nun auf Feldern, allein in meiner Gemeinde, über 6000 bis zu 10 geschossige Häuser, die sich nicht ins bisherige Umfeld eingliedern und die angespannte Verkehrsinfrastruktur endgültig überfordern wird.
Heute schaue ich im Vorbeifahren z.B. auf den Volkspark Friedrichshain fast mitleidig, denn während sich dort die Menschen quetschen und reiben, kann ich mir hier draußen die Wiese aussuchen, auf der ich alleine mit meinem Hund bin. Der Hund war auch der erste Anstoß dieses Stadtleben zu überdenken, ich war seinerzeit fast täglich im Mauerpark und da fing es schon an, das mann ständig mit Psychos rechnen musste, die mit der Stadt nicht mehr klar kamen oder nie hätten herziehen sollen. Als dann noch mein Sohn zur Welt kam sah ich auch zunehmend den ganzen Dreck, wie Zigarettenkippen und Glasscherben auf der vermeindlich erholsamen Wiese. Hinzu kam, das mein Hund aufgrund der täglichen vielen Treppen, die er zu laufen hatte, wir wohnten im dritten Stock, bereits mit 7 Jahren eine Arthrose entwickelte, hier draußen wurde er dann 12 1/2 Jahre alt, hätte er sonst nie geschafft. Nach vielem Suchen fanden wir also eine fast gleichteure Wohnung mit ähnlicher Quadratmeterzahl in Karow, allerdings mit Garten und Wintergarten, modern für Familien geschnitten und idealer Hundeauslauffläche direkt vor der Haustür. Vor der ebenerdigen Haustür auch eine parkähnliche Anlage mit Spielplatz und vor allem ohne Autos und Kita 100 Meter entfernt auf der anderen Seite der Anlage, vonwegen auf dem Land sind die Wege länger. Als wir hier einzogen wurde sogar noch der Mietpreis halbiert, damit überhaupt welche einziehen, aber nun fängt das auch hier an mit versuchten exorbitanten Mieterhöhungen. Die Stadt wächst an die Ränder, weil die Situation wieder genauso ist wie damals als ich 87 meine erste Wohnung in Berlin ergatterte, jeder qm ist verplant und teuer, freie bezahlbare Wohnungen fast inexistent, keiner zieht mehr um.

Während bei Corona alle durchdrehten zog ich mich raus und baute, aufgrund einer Erbschaft, ein Haus auf dem Grundstück am See. Während wir vorher lediglich ein paar Wochenenden im Sommer dort in einer 16 qm Gartenhütte hausten wurden nun die Aufenthalte dort öfter und länger, somit ist man dann natürlich auch mehr ins Ortsgeschehen eingebunden und trifft sich nicht mehr nur im Sommer zufällig am Strand. War Karow schon mental ziemlich abgekoppelt vom städtischen Gewusel, ist es hier nochmals anders. Die Stadt ist weit weg und die Menschen wollen da auch gar nicht hin bzw. sind viele, ebenso wie wir, von dort geflüchtet, weil Berlin einfach nicht mehr die Stadt ist, weswegen man mal dorthin gezogen ist. Die Mentalität ist eine ganz andere und für eingeschwore Städter vermutlich eine Zumutung. Dinge passieren hier langsamer und nach wie vor in Vereinen und auch wenn ich in keinem drin bin, freue ich mich auf den abendlichen Hunderunden immer, wenn ich am Vereinshaus vorbei komme und dort Leute gemeinsam ihre Zeit bei Bowling, Fußball oder einfach nur irgendeinen Geburtstag feiernd an der Feuertonne sehe. Aus der Reserviertheit gegenüber den neuen Städtern die wir anfangs waren, wurde über die Jahre ein joviales Gegrüße, Hunde und Kinder verbinden hier nunmal und man leiht sich auch mal Dinge aus oder palavert über den Zaun miteinander. Viele hier verbindet eine schon seit Ostzeiten historisch gewachsene Antipathie gegenüber Berlin, so das man bei einer Führung auch schon mal hört „Und da drüben liegt Berlin, das man von hier zum Glück nicht sieht“. Man kann es ihnen nicht verdenken, zu Ostzeiten durften sie nicht in Berlin einkaufen, aber wenn etwas knapp war, kamen die Berliner raus um es dort zu kaufen. Heute sind es andere Dinge die aufregen und so musste ich auch schon Berliner, erkennbar am Autokennzeichen, darauf hinweisen, das Lagerfeuer im Wald unter Bäumen bei Waldbrandstufe 4 so gar nicht geht. Antwort des offensichtlich um eine Romanze bemühten Romeo‘s „Aber das ist doch so romantisch“, ja aber uns fackelt hier dann Hütte und Wald ab! Vor Jahren war hier mal ein Luxus Festival das kolossal abkackte. Erst parkten die Autos mit B Kennzeichen sämtliche Einfahrten im Ort zu und am Ende gab es, ob der Pleite, auf dem Festival nichtmal mehr was zu essen, worauf sich einige Mütterchen, trotz der Vorfälle dorthin auf den Weg machten um Schnittchen vorbeizubringen, nur um dann nach dem Rückweg festzustellen, das ihre Vorgärten vollgekackt waren.
In Gesprächen heißt es dann oft, es läge am Alter das man rauszieht, das spielt vielleicht mit, empfinde ich aber nicht als ausschlaggebend. Ich habe seit dem Wegzug das Gefühl, je weiter ich rausziehe, desto besser geht es meiner mentalen Gesundheit und meiner Kreativität. Die Stadt hat sich verändert, neue Bewohner meinen auch schonmal „Stadt muss man sich leisten können“, aber für mich stimmt das Preis/Leistungs Verhältnis nicht mehr und das sehe ich anscheinend nicht alleine so, viele der Künstler die hier mal hergezogen sind, sind auch schon wieder weggezogen, sei es weil sie keine Räume mehr finden oder diese viel zu teuer sind.
Während Corona war es ganz offensichtlich für uns hier draußen hatte sich kaum etwas verändert, aber als ich in der Stadt mal Freunde besuchte wurde mir klar warum da alle so durchdrehen, man kommt aus der Tür und alles ist zu, das macht was mit einem, besonders wenn man Kinder hat und die in der Käfighaltung durchbringen muss.
Nicht falsch verstehen, ich bin immer noch froh Berlin in der Nähe zu wissen, bin auch noch oft und gerne mittendrin aber leben da drin muss ich nicht mehr und jedesmal froh wenn ich wieder raus bin, wieder den erdigen Geruch von Land in der Nase habe und vor allem den weiten Himmel sehe.

2 thoughts on “500Words 1: Stadt/Land”

  1. Als jemand der schon immer in einem kleinen Dorf gelebt hat kann ich eure Entscheidung ein Haus am See zu bauen sehr gut nachvollziehen. Diese Stille ist unbezahlbar für den inneren Frieden.
    P.S. Ein kurzer Aufenthalt in Bayreuth!, zum beispielsweise shoppen, hinterlässt bei mir bereits einen faden Beigeschmack.

    1. Also ich bin immer noch gern mal Kurz mitten in der Stadt, für Meetings, Auflegen usw. und bin auch froh es in der Nähe zu haben aus diversen Gründen, aber wie gesagt auch froh dann wieder raus zu sein. Allein schon diese Konsum Reizüberflutung nervt mich so ab!

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