Spoiler gleich zu Anfang: Also für mich war 2020 jetzt nich nur Kacke, sorry aber isso. Ich wußte ja im Voraus das es ein besonderes Jahr werden würde, schließlich war ja schon vorher klar, das ich eine Tochter kriegen und ein Haus bauen werde und zwar gleichzeitig, aber das es so crazy werden würde, das hatte ich wohl, wie auch, nicht auf dem Schirm. Dabei fing es so super an und dann im Februar flog ich schon mit Maske zu meinem letzten Vorcorona Gig nach Wien, zwei Wochen später kam der erste Lockdown und man ahnte schon das einen das länger beschäftigen würde. Dazu kam zu allem Überfluß auch noch, das meine Mutter im Februar starb und ich mich um eine Beerdigung kümmern mußte. Auch das war ein denkwürdiges Abenteuer, denn das lief genau in den ersten Lockdown rein. Ich mußte zurück in meine alte Heimat und wir waren dort die einzigen Gäste im Hotel, die Restaurants hatten schon zu und die Beerdigung mußte draußen stattfinden. Wenn man dann im Nachhinein sieht, wie das mit Altenheimen, Besuchen und Ansteckungen lief, kann man sie eigentlich nur zu ihrem Timing beglückwünschen, besser wäre das nicht mehr geworden, ich hätte sie nicht mehr besuchen können und die Beerdigung hätte ohne Verwandtschaft stattfinden müssen. Einer der vielen Fälle in diesem Jahr, wo man zuerst denkt ausgerechnet jetzt und dann feststellt, wenn dann jetzt.
In meiner anfänglichen Naivität ging ich von ein paar Monaten aus und fing im März erstmal an den Erdaushub von Fundament und Grube des frisch hochgezogenen Hauses auf dem Grundstück zu verteilen. Wie das mit so Lockdowns und geschlossenen Grenzen ist, hängt da natürlich ein ganzer Rattenschwanz an Dominosteinen dran, die mit umkippen und dabei meine ich nichtmal das Geld. Mein Haus wurde in Tschechien produziert und nun kamen die letzten Teile, wie Balkon, Treppe und Türen nicht über die Grenze, weil zu. Der Spaß dauerte 3 Monate, was mich zuerst ärgerte, aber dann war ich fast froh drum, weil wer will schon im Sommer bei über 30 Grad drinne den Trockenbau fertig machen? Und schließlich kam dann ja auch im Juni schon meine Tochter Yvy zur Welt, was den Schaffensdrang dann auch erstmal ausbremste. So kam auch hier alles anders als geplant, aber doch so, das es eigentlich besser kaum passen konnte, denn mit dem Innenausbau fing ich dann erst Ende September an. Deswegen will ich mich auch gar nicht über das Jahr beschweren, irgendwie fiel alles an seinen Platz, so das man sagen konnte, paßt schon.
Natürlich ist das im Grunde krass, fast das ganze Jahr keine Gigs zu haben, weil man nicht auftreten darf, aber andererseits wäre ich dann weniger für die Familie und die neue Situation da und wer weiß wie weit ich dann bis jetzt mit dem Haus gekommen wäre? Ich sah zu wie alle durchdrehten und kam zu dem Entschluß das quasi als erzwungenen Sabbatical anzusehen, verstehe aber auch wenn andere das nicht so sehen können. Gerade Soloselbstständige in meiner Branche haben auch eigentlich allen Grund dazu, denn wie mit uns im Laufe des Jahres verfahren wurde ist schon mehr als dreist zu nennen. Wieviele Versprechen wurden gemacht und in großen Lettern gedruckt, damit es auch jeder mitkriegt, das Kleingeschriebene und das oft auch nachträglich geänderte hingegen hätte man wohl am liebsten unter den Teppich gekehrt. So bekam auch ich oft zu hören, das sich doch um uns gekümmert würde, Altmeier und Scholz hätten das doch besonders betont, die berüchtigte Bazooka und das „Wir lassen keinen alleine zurück“. Lange hatte ich mich gefragt was genau da passiert ist, das aus der omnipotenten Bazooka so eine schlaffe Wasserpistole wurde. Als hier in Berlin dann die 5000 € Soforthilfe anrollten, dachte man tatsächlich auch, dieses Mal scheinen sie es ja mal richtig zu machen und fühlte sich verstanden. Ca. 6 Wochen später waren wir nun bei Grundsicherung und „Man kann ja auch zuhause mit seinem Partner tanzen“ angekommen. Wie kann das sein? Lange schien das für mich auch unverständlich, dann stieß ich auf diesen Satz:
„Die Kanzlerin forderte demnach auch, in Deutschland bei allen Hilfen die Rückwirkung auf die EU-Debatte zu berücksichtigen. Deshalb solle sich die Bundesregierung auf zentrale Bereiche der Wirtschaft konzentrieren, statt immer neue Versprechen zu machen. Wenn etwa auch Künstler mit Steuergeld gerettet werden sollten, werde man dies in Spanien und Italien vermerken und darauf verweisen, dass Deutschland offensichtlich über genug Geld verfüge.“
Dieser ist vom 20.4. und deckt sich in etwa mit dem Moment, als es hieß, das die Hilfen, entgegen vorheriger Beteuerungen, nur für betriebliche Kosten eingesetzt werden dürften. Wir wurden also ein Bauernopfer damit andere Länder nicht auf die Idee kommen, Deutschland hätte genug Geld für eine Rettung und seitdem war alles anders.
Nun galt als Ultima Ratio, uns in die Grundsicherung zu stecken und vermittelt, man hätte generös die Hürden für diese gesenkt, keine Vermögensprüfung, keine Zwangs Jobvermittlung. Was nicht erwähnt wird ist, das die Bedarfsgemeinschaftsregelung eben nicht mit gefallen ist. Dabei hätte man die genauso gut kippen können, aber so dürften halt mindestens die Hälfte von uns aus dem Raster rausfallen und man kann trotzdem vermitteln, man würde sich kümmern. Die unbürokratische Hilfe artete natürlich doch in ein kafkaeskes Kudelmuddel aus, das dann die Zeit des bearbeitens meist gar nicht wert war, weil lediglich nicht existente Fixkosten davon gedeckt werden konnten und man fragte sich oft, wie wenig diese Entscheider über das Bescheid wissen über was sie da entscheiden. So nah dran ist man ja selten, zu sehen wie uninformiert da beschlossen wird und man ahnt schon das es in anderen Bereichen vielleicht auch nicht besser ist, was einem dann auch klar vor Augen führt warum es z.B. mit der Digitalisierung oder jener in der Schule, so aussieht wie es aussieht.
Man hat jedenfalls ständig das Gefühl, man würde uns am liebsten am ausgestreckten Arm verhungern lassen, weil wir nicht die Klientel für exorbitante Leasingverträge sind und wäre nicht der Aufschrei von #AlarmstufeRot oder Booking United so laut gewesen, wäre das vermutlich auch so passiert, aber so kam es eben in die Medien und man mußte zähneknirschend reagieren, schließlich kommt da ein Wahljahr. Oft höre ich das Argument, man müsse mehr Lobbyarbeit machen und sich verbünden, was ich allerdings nur zum Teil richtig finde. Politik sollte auf selbstverständliche Dinge reagieren können, ohne das da Organisationen etwas einflüstern müssen. Wenn man über einer Millionen Menschen den Broterwerb verbieten muß (was ich durchaus verständlich finde), muß man auch B sagen und denen die Hilfe zuteil kommen lassen, die passt und nicht auf eine Grundsicherung verweisen, die noch Monate zuvor von diesen selbst als nicht mehr zeitgemäß gelabelt wurde. Schließlich sind wir ja eigentlich nicht arbeitslos oder hätten schlecht gewirtschaftet, denn sobald diese Pandemie vorbei ist geht es natürlich mit Tanz und Kultur weiter als wenn nie etwas gewesen wäre, es gehört zu den ältesten Geschäftsmodellen auf diesem Planeten und hat den Menschen zu dem gemacht was er ist. Viele von uns werden es sich in Zukunft sicher nun zweimal überlegen ob man sich nochmal mit solchen Personen ablichten lässt, denn um die eigene Credibility zu pushen war man immer gut genug, kommt eine Krise wird man fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, das wird lange nachwirken.
Aber mal zurück zu den erfreulichen Dingen, ja die gab es! So kann ich sagen, das ich dieses Jahr alle Berlin Gigs, doch die gab es!, ohne Auto sondern per E-Bike erledigt habe. Das hieß aber auch das erste Jahr komplett ohne Traktor auflegen, sondern entweder mit den CDJs, die ich nicht sonderlich mag, oder eben mit dem Denon Prime Go, den ich mir bereits vor dem ganzen Schlamassel pregeordert hatte, der dann aber auch aufgrund des Schlamassels erst im Juni ankam. Natürlich waren das nur wenige Gigs vor Publikum, die aber alle legal. Der Rest war Streaming, was man in meinen Augen nicht wirklich DJing nennen kann, essentielle Skills wie Crowd reading sind da völlig außen vor, es ist halt mehr wie zuhause ein Mixkonzept zusammen mixen vor Kameras. Hat halt natürlich auch den Vorteil, das man auf Konsens oder Tanzbarkeit keine Rücksicht nehmen muß und so kam es, das mein Techno fast immer die 140 Überschritt, mein persönliches Wohlfühltempo. Wie sagte der dieses Jahr verstorbene Andrew Weatherall gerne so schön: Music is not for everyone!
Überhaupt Techno dieses Jahr! Ein sehr interessantes Technojahr, Der Trend zu schneller und härter ist ja schon seit ein paar Jahren zu beobachten, aber das die 140er Schwelle wieder gerissen wurde ist einer der guten Verdienste des ansonsten eher blöden Jahres, alles unter 135 wirkte, nunja, etwas altbacken. Ist aber auch irgendwie praktisch, wenn sich Stile allein schon von den BpM differenzieren lassen, unter 130 isses halt eher so Techhouse. Ich hörte viel Kritik daran, weil man ja wisse wo sowas endet, siehe Gabber, siehe Schranz. Aber wenn man danach geht, welches Attribut wurde nicht überzogen und endete im uninspirierten Formalismus? Bei Geschwindigkeit ist das nun auch schon wieder gute 20 Jahre her und was die neue Generation damit anstellt finde ich sehr entzückend in seinem Humor, Unperfektionismus und der unbedarften Herangehensweise überhaupt, wie man vielleicht auch bei meinen TNT Mixen heraushören konnte. Die haben nun mit der #100 leider auch ihr Ende gefunden, was aber nicht heißt das da nix mehr kommt. Unter anderem Namen und ohne FluxMusic geht es natürlich weiter, dazu ist Techno gerade einfach zu spannend, als das ich davon die Finger lassen könnte. Ich möchte fast behaupten es ist der beste Techno seit Jahrzehnten, haben ja auch alle genug Zeit im Studio zu sitzen und die Situation lädt auch noch förmlich zu einem fuck all ya ein. Kein Wunder das da sowas bei rauskommt, das ich gerne mit Seuchentechno bezeichne.
Wenn ich nun noch einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen dass DJs unter ihre Insta Postings keine Gigs aus den Vorjahren posten und drunterschreiben „soon will will be back, stronger!“ Das wirkt immer so‘n bisschen wie das Pfeifen im Walde. Leute, das können wir besser, schliesslich gehören wir zu den Kreativberufen. Ja, es wird wieder weitergehen, ja es wird anders als vorher sein und keiner weiß ob er dann noch dabei sein wird. Die Handyvideos von heute werden uns in ein paar Jahren so ewig weit weg vorkommen, wie die Youtubevideos von den frühen Raves heute. Die Welt ändert sich, der Lauf der Zeit nimmt manchmal komische Wege, mit denen keiner gerechnet hat. Da muß man nun nicht einen Schuldigen suchen, wenn es ein Virus ist. Es hilft auch nicht so zu tun als gäbe es das nicht, davon kommt die alte Welt nicht mehr zurück. Ich sehe bei meinem Sohn z.B. das der sehr gut mit dieser neuen Welt klar kommt und dieses Gewäsch von Leuten, die FFF vor einem Jahr noch am liebsten verboten hätten, reden nun davon das sie für die Zukunft der Kinder auf die Straße gehen, wahrscheinlich ohne sie auch nur mal gefragt zu haben. Ich mußte also feststellen das viele mittlerweile sehr alt geworden sind, denn früher wären sie flexibler mit solch einer Situation umgegangen. Wie diese Kinder eben, für die diese Welt, die die Alten ihnen in ihrem Namen erhalten wollen, bald gar nicht mehr kennen werden.
Ich weiß noch wie angenehm nicht nur ich diese Entschleunigung am Anfang des ersten Lockdowns empfand und wieviel davon gesprochen wurde das ja eh alles überhitzt und überdreht war und das man jetzt aus der Situation lernen und das beste machen sollte. Das hielt aber nun nicht wirklich lange an, bald waren die Straßen wieder voll wie zuvor, jeder versuchte irgendwie eine gute Startposition zu ergattern, falls es wieder losginge (we are all in this together, sent from my Yacht) und das hier über unserer Wohnung keine Flugzeuge mehr fliegen liegt auch nur daran, das Tegel zu ist.
Zum Schluß möchte ich mich noch ganz explizit bei meinem Rudel hier bedanken und natürlich insbesondere Jeannette, die mir noch eine Tochter geschenkt hat, wo andere schon Großvater werden. Überhaupt wünsche ich jedem so eine tolle Familie, denn gerade in Zeiten wie diesen weiß man dann warum man etwas tut und muß sich nicht mit so sinnlosem Zeug, wie z.B. Leuten im Internet erklären, das sie falsch denken, als Lebensinhaltsersatz rumschlagen. Und wie jedes Jahr natürlich auch meine stoisch unaufgeregte Altravergruppe, mit der ich wieder viel lachen konnte. Und ein Gruß geht auch raus an die vielen Leute, die ich dieses Jahr, trotz Lockdown und Social Distancing, kennenlernen durfte und jene die mich oder die ich wiedergefunden habe.
Mögen die Roaring 20ies beginnen, wie immer die auch aussehen mögen, we are in this together, I am ready!