Jahresrückblick 2021

Ich schloß letztes Jahr mit den Worten „Mögen die Roaring 20ies beginnen“, nun das hat bislang leider noch nicht so geklappt. Eigentlich war 2021 lediglich eine Verlängerung von 2020 und ich befürchte 2022 könnte ebenso werden wie ich es letztens ausgeschrieben sah „2020too“. Aber da schon 2020 nicht alles schlecht war, war das natürlich 2021 auch nicht so und somit hält sich dann hoffentlich 2020too an diesen Algorithmus, obwohl man das durchgemachte ja nun auch nicht nochmal haben will.
Bis März hatte ich noch fast täglich mit dem Hausbau zu tun, so das es pünktlich zum Sommer richtig bewohnbar wurde. So richtig fertig ist es natürlich immer noch nicht. Dann kam ein Sommer, den mir alle als zu kalt und zu nass beschrieben, aber das war definitiv nicht der Sommer den ich erlebt hatte.

Der war völlig ok, bricht zwar keine Rekorde, aber über Sonnenstunden konnte ich wirklich nicht klagen. Sogar bei der Biketour mit meinem Sohn Aaron nach Usedom hatten wir an 3 Tagen nur einmal Nieselregen für ein paar Stunden. Ok, das mag vielleicht auch daran gelegen haben, das wir noch bis August in Elternzeit waren und wirklich jeden Sonnenstrahl am Haus am See auskosten konnten.
Da fing das auch an, das Festivals sich zaghaft wieder was trauen durften, die Inzidenzen unten, die Lüfte lau und die Politik im Wahlkampf. Man sollte meinen da geht was, aber trotzdem war das in vielen Fällen ein Zehntel dessen, was vorpandemisch möglich war. Ab September ging es dann auch mit dem Clubleben wieder weiter und so bis Ende Oktober sah das auch ganz zuversichtlich aus, wie sich das entwickelte. Jeder Gig ein Treffer und man merkte richtig wie ausgehungert die Leute nach sowas waren, aber dann kam November und alles bröselte wieder zusammen. Erleichternd war, das jetzt nicht alle wieder auf die Idee kamen selbst zu streamen, das Ding ist irgendwie durch, bzw. hat sich mit Hör und Konsorten auch mächtig professionalisiert. 
Und jetzt muß ich wirklich aufpassen, das das hier nicht in einen Rant ausartet. Diese 2 Jahre Auszeit mit gelegentlichen Unterbrechungen lassen einen dieses Technoding schon ein wenig von außen ansehen. Nicht falsch verstehen, ich finde das alles noch ziemlich großartig was wir da geschaffen haben und es freut mich umso mehr, das da eine neue Generation am Start ist, die, trotz Pandemie, so ziemlich alles durcheinander wirbelt was vorher war. Die Lineups 2021 sahen jedenfalls anders aus als vor 2020, die Musik ist besser denn je, ich feiere die quasi täglich und fühle mich bei deren Rotzigkeit und Minimum 140 BpM so richtig gut aufgehoben. Trotzdem hab ich da über’s Jahr so meine Vorbehalte entwickelt was einige Entwicklungen angeht um nicht zu sagen so viel Cringe hatte ich schon lange nicht mehr. Ich verfolge viele junge Künstler auf Instagram, sehe deren Geposte von riesigen Hallen irgendwo auf dem Kontinent bis ich’s aus Langeweile nicht mehr sehen kann. Es scheint so als müßte man sich jetzt in dieser Branche internationalisieren um überleben zu können, da Feiern nur noch saisonal stattfinden kann. Also mit dem ganzen neuzeitlichen Brimborium, Booking Agentur, PR Agentur, Tourmanager der mitfliegt, um die Fotos und Videos für Instagram zu machen, die dann am Ende auch alle austauschbar erscheinen. Abgesehen davon das mich sowas null neidisch macht- ich erwähne das nur weil ich schon die Kommentare ahne- ich hatte das lange genug, kann ich mich nicht erwehren solche Bilder heute fast pervers zu empfinden, wenn dann noch die Hotelsuiten gezeigt werden und die 8 Flüge in 3 Tagen erwähnt werden. Ich weiß und verstehe es, wenn diese junge heißspornige Generation auch das haben will was wir hatten, sie haben alles Recht dazu, aber ist das noch zeitgemäß? Müßte sich nicht auch Techno im Hinblick auf Klimawandel und besserer Welt wandeln und diesbezüglich neu erfinden anstatt einfach so weiterzumachen als wäre nix gewesen? Dazu gehört auch dieser ganze Merchandise Tinnef den ich dieses Jahr beobachten konnte. Hier rächen sich dann wirklich die ganzen läppischen Spotify Auszahlungen, nämlich das Künstler im Nebenjob auch noch kleine Ed Hardys werden müssen, um auf so einen Quatsch, wie völlig belanglose Designs, auf limitierte, überteuerte ,natürlich fair gehandelten, Shrits und ähnliches, aber eben auch massenweise unnötigen Plastikdreck setzen müssen um zu überleben, oder auch nur auf sich aufmerksam machen zu können. Ich gönne wirklich jedem Künstler den Erfolg und das Bad in der Menge, es ist unerlässlich zu touren und als Botschafter der Musik unterwegs zu sein, aber ich denke wenn man das in Zukunft nicht nachhaltiger gestaltet könnte das sehr nachteilig werden. Lösungen habe ich leider auch keine parat, aber die Bilder fühlen sich mittlerweile definitiv falsch an.
Das ist auch einer der Gründe, wieso ich nur kopfschüttelnd auf dieses Unesco Welterbe Berliner Techno schauen kann. Der Drops ist gelutscht, man kann noch so amtlich versuchen das Alte zu bewahren oder zu beschwören, so wie es mal war wird und soll es nicht mehr werden und im Falle der Loveparade bin ich heilfroh darum. Jetzt noch den vorpandemischen Status Quo herbei zu betonieren entzieht sich völlig meinem Verständnis. Techno sollte gleichbedeutend mit Wandel sein und nicht an irgendeiner Stelle eingefroren oder reaktiviert werden, was ja mit der Wiederbelebung einer Loveparade quasi immanent ist, dazu noch der Part ab ihrer schlechtesten Phase, nämlich an der Siegessäule. Mir ist echt nicht danach, das Techno ein ähnlich touristisches Schicksal erfährt wie der Hauptmann von Köpenick oder der Eiserne Gustav. Aber das nur am Rande. 
Zum Ende des Jahres war dann noch dieser Soundstorm Rave der mich cringen ließ. Im Vorfeld gab es da ja schon Diskussionen, für mich war die Teilnahme diverser Technoacts ein Verrat an Technoidealen, während andere meinten es wäre dasselbe wie z.B. in Dubai oder Russland zu spielen. Ich wiederum meinte dagegen, das es schon einen Unterschied macht, ob ich IN einem Land spiele und dort die Gegenkultur supporte, oder ob ich FÜR ein Land spiele, dessen Regime mir die Gage für das Whitewahing seiner international geächteten Taten zahlt. Das brachte mir dann noch eine private Diskussion mit Dubfire ein, von Einsehen war da wenig zu spüren, das Whitewashing der eigenen Intention, nämlich Geld, weil die A-List der DJs ja in den vergangenen 2 Jahren so unheimlich gelitten hat, mit dem Change entschuldigen, den man angeblich in das Land bringt. Wir sind dann zwar im Frieden auseinander gegangen, aber schön war das alles nicht. Als Nachschlag gab’s dann noch so eine komische Art ungefragten Kadavergehorsam einiger Dubfire Fans, die wohl sein Posting über mich gesehen hatten und meinten ihm zur Seite springen zu müssen, was wohl bedrohlich bis aggressiv wirken sollte, aber umkommentiert von mir gelöscht eher putzig bis albern wirkte. Ich weiß ja, das es sowas gibt und durfte schon öfter beobachten, das man Heilige besser nicht kritisiert, da man es sonst mir einer bescheuert hörigen Fanarmy zu tun bekommt, jetzt hab ich das auch mal durch.
Natürlich spielt da immer Corona mit, ein Thema das die ganze Szene und Branche durchschüttelt und das ich trotzdem so gut es geht vermeide, nicht weil ich mich davor drücken will, sondern weil es mich nicht dermaßen tangiert. Ich verstehe es bis heute nicht, wie man jede Facette davon täglich z.B. auf Facebook durchkauen muß, so das man kein anderes Thema mehr hat und nichtmal über Weihnachten und zwischen den Jahren davon lassen kann, wie ich gerade erst zu erleben. Jeder der sich da gerade angesprochen fühlt: Was stimmt nicht mit dir? Natürlich bin ich und die Branche in der ich tätig bin hauptbetroffen und klar krieg ich so’nen Hals wenn ich sehe wie mit uns umgesprungen wird, wie in anderen Ländern mit ziemlich ähnlicher Impfquote vieles möglich ist, was hierzulande ein Nogo darstellt und was vermeintlich nur aus Spaß passiert zum Sündenbock stilisiert wird, obwohl sich Clubs und Mitarbeiter sehr engagieren diese Pandemie in den Griff zu bekommen, während sich die Lieblinge wie Daimler und VW noch am Kurzarbeitergeld bereichern und wir fast leer ausgehen, bzw. versprochene Hilfen im Nachhinein wieder rückgefordert werden oder die Hürden gleich so hoch gelegt werden, das des für 90% unmöglich ist überhaupt daran zu kommen. Dabei spreche ich gar nicht mal nur von der Clublandshaft, der ganze Kulturbereich ist da betroffen und meine Hauptsorge ist dabei nichtmal Corona und die Maßnahmen, sondern das wir dadurch Gefahr laufen in ein ziemlich dunkles, aseptisches neues Biedermeier abzudriften. Das ist aber kein Grund ein zynischer Wutbürger zu werden, oder jeden Tag ein neues Lamenti anzustimmen oder gar die Zeit damit zu verbringen mich zum Hobbyvirologen aufzuschwingen um mitreden zu können. Mir ändert sich einfach auch zu schnell die Faktenlage um mich da festlegen zu können. Auch mir kommen die Regelungen bislang erratisch und angstgetrieben vor, bzw. werden da auch gerne Schuldige wie z.B. Ungeimpfte oder Clubs, gesucht, oder bei denen angesetzt die am wenigsten dafür können, sozusagen als Opfergabe damit die Angestelltenarbeitswelt weiter brummen kann. Ich denke auch Berlin hätte definitiv einen Senat verdient gehabt, der besser damit umgehen kann, als das was bis vor kurzem hier stattfand, allein der Fakt das es erst eines Gerichtsurteils bedurfte, das Clubs im September wieder öffnen durften wird dieser Stadt nicht gerecht und wird lange nachwirken. Ich denke mal man wird sich in Zukunft drei und mehrmal überlegen ob man sich nochmal dafür hergibt, sich mit solchen Herrschaften ablichten zu lassen, damit die sich in guten Zeiten etwas Credibility abschneiden können, während man in schlechten Zeiten wie diesen, fallen gelassen wird wie eine heiße Kartoffel. Über neue Regierung und Senat will ich noch nicht urteilen, das macht man ja gewöhnlich erst nach den ersten 100 Tagen. Aber all das taugt noch lange nicht dafür mich täglich neu über jede Hirnrissigkeit neu zu echauffieren oder mich irgendwelchen dubiosen Gruppen anzuschliessen, mit deren Protagonisten ich auch in besseren Zeiten lieber nix zu tun habe. Neuestes Beispiel übrigens: Ich darf meine Tochter nicht mehr reinbringen, sondern sie den Erziehern an der Tür abgeben, die dann alle Kinder an und ausziehen müssen, als ob die nicht schon genug zu tun hätten. Das alles garniert mit einem Brief vom Senat indem man sich für die Zusammenarbeit bedankt und beschwört alles, aber auch wirklich alles für Erzieher und Kinder zu tun. Was das aber bringen soll, da die Kinder ja eh ohne Maske drin sind und den sonstigen ganzen Tag mit den vielleicht ansteckenden Eltern zusammen sind, sorry ich check’s nich.
Gute Vorsätze oder große Vorhaben habe ich wohlweislich für 2022 erstmal keine vorgenommen, weil in der momentanen Lage kann das eh alles morgen schon wieder Makulatur sein, was jetzt dramatischer klingt als es für mich ist, weil ich ohne Ziel zu leben eigentlich schon gewöhnt bin, „Go with the flow!“ war da schon immer eher meine Devise. Ich mach einfach da weiter wo 2021 aufgehört hat und das war gegen Ende wieder mehr Sport und auf meinen iPads Musik zu machen. Sich auf diesen iPad Flow einzulassen macht mittlerweile so richtig Spaß, zumal wenn man als Vater von 3 Kindern (Sohn, Tochter, Hund) hauptsächlich zwischenzeitlich und abends dazu kommt. Dazu habe ich mir zu Weihnachten noch extra ein iPad mini zugelegt, welches den Traum vom immer bereiten Mobilstudio, auch unterwegs, erstmals richtig erfüllt. Das ist dann schon was anderes als in so einem Arbeitsambiente wie Rechner und Studio, aber beileibe nicht weniger kreativ oder ambitioniert, mehr so ein loses Jammen ohne Ziel, was ich ziemlich befreiend finde. Mittlerweile ist das ein ganz eigener Kosmos an Apps und DAWs, der sich immanent von dem unterscheidet wie man an Rechnern arbeitet und auch mal für den schnellen Beat oder das ganz andere Sounddesign zwischendurch eignet. Dabei ist das alles, im Gegensatz zum Rechner, relativ billig zu haben- wenn man die Hardware erstmal hat und m.E. passiert da auch derzeit mehr Innovation als auf rechnerbasierten Geräten Dazu aber demnächst mal ein eigener Artikel oder Video.
Dieses Jahr werde ich 60 und wenn mir einer vor 40 Jahren gesagt hätte das ich dieses Alter überhaupt erreichen werde, hätte ich ihn wahrscheinlich eher skeptisch angeguckt. Insgesamt bin ich heilfroh hier in solchen Zeiten meine Familie zu haben, damit man in dem ganzen Chaos drumrum nicht die Orientierung verliert und ich weiß genau, wenn mir das jemand vor 20 Jahren gesagt hätte, hätte ich ihn schallend ausgelacht, aber das ist auch eine ganz gute Lektion, das das Leben nunmal auch Wendungen zum besseren nimmt, die man sich ü-ber-haupt-nicht vorstellen kann. Blöd halt das man dafür erst so alt werden muß um das am eigenen Leib zu erfahren um sich nicht auf die Erzählungen von älteren verlassen zu müssen, was man ja eh nicht tut. 
Damit möchte ich dann auch schließen, last euch nicht ärgern, radikalisiert euch nicht unnötig und einen milden Verlauf gewünscht!

Noch ein paar Archivements und Numbers zum Schluß:

3183 km Gelaufen
1590 km Rad gefahren
35 km geschwommen
10 Jahre Dampfen statt rauchen
8 Jahre Karow

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