Ein Real- Time-Veteran, der weiß, wo die Techno-Kriege am härtesten waren, wo der Speedschweiß in strömen floß, wo der Kopf noch an die Bunkerdecke stiess: Aber TANITH ist kein Teacher, bei Gott, nein!
Was waren das doch für Zeiten, als in Berlin der Techno im Kriechkeller lärmte, als die “Clubs roch Ufos waren und geheime Zugänge Türsteher überflüssig machten; und dann, als die Clubs noch Walfisch hießen, als die Afterhour noch bis zum Zenith der Mitternachtssonne dauerte und alle auf dem grünen Mittelstreifen irgendeiner Hauptverkehrsader flashten – Gott/DJ, was waren das doch für Zeiten.
TANITH: “Klar, ich würde auch gern etwas anderes erzählen, aber da sind eben Dinge passiert, die man nicht in Worte fassen kann, man war einfach eine eingeschworene Gemeinde. im Gegensatz zu Frankfurt wurde in Berlin der DJ ja noch nicht vergöttert, man hing einfach ab.
Das war damals noch ´ alles viel schöner und aus Holz oder reinem MDMA. In der OstVariante: Es war ja auch nicht alles schlecht.
Tanith, aufgewachsen in einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt und seit ’84 Dj, 77er Punk und EBM-Konvertierter, Techno-Pionier und Breakcore-Klotzkopf, early Bird bei Love Parade, Mayday und Tekknozid (blablabla) ist ein Opi, der wenigstens weiß, wo der Stellungskrieg am härtesten war. Er kann Geschichten erzählen, die Techno geschrieben haben (oder umgekehrt?). Da hängt einiges im Raum, das Odorama von 10.000 Speed ausschwitzenden Techno-Kiddies auf dem holländischen (Gabba-Mega-Rave) )Hell Razor, die eindringlichen lmpressionen von sanftmütig bedrogten Hooligans vor dem Exit, die Atmosphäre der weiten, niedrigen Räume des Bunkers oder Tresors.
Als 37jähriger erlebst du das Revival von Dingen, die du in Real-Time erlebt hast. Unsere Hauspsychologin möchte wissen: Was macht das mit dir?
“Das ist ja wie eine Spirale – wobei die Schnelligkeit der Wiederholungen eine einmalige Sache ist; die Leute stehen unter enormem Druck, alles wird noch mal schnell aufgearbeitet bevor (zensiert). Ich hoffe, dass das bald vorbei ist. Aber was man auch sehn’ muss: Wenn etwas aufgewärmt wird, ist es ja nie dasselbe wie das, was man selbst erlebt hat. Wie du es jetzt beim Techno siehst, da wird halt gerade wieder der Sägezahn aufgebockt, aber das ist ein ganz anderer Sägezahn als früher, viel ausgearbeiteter. Es wäre damals gar nicht möglich gewesen, den so in den Vordergrund zu holen. Da wären dir die anderen Sachen abgekackt.´
Wir wären ja froh gewesen, wenn wir eine Säge gehabt hätten. Aber egal. Kommst du eigentlich in die Versuchung, dem Publikum etwas beibringen zu wollen?
Nö, man spielt natürlich schon ältere Platten, aber nicht so programmatisch. Wie willst du das auch machen?
Der DJ ist nicht der Teacher?
Um Gottes willen! Ich habe Lehrer als Eltern!´ (und später) “Ein Dj muss sich befreien können, der muss auch mal bewusst danebengreifen, auch wenn es nur einer auf der Tanzfläche kapiert.”
Gibt es ein Grundmotiv in deiner Arbeit als DJ und Musiker?
Zumindest gibt es ein fest geprägtes Image. Ich erinnere mich an Photos im Frontpage, in der Zeit (als Fummeltrienchen und Poly-Kasper die Luft verpesteten) posiertest du als harter Mann in Militärklamotten. Dann die Aktion, in einem Panzer über die 94er Love Parade zu rollen. Man kann dich nicht gerade mit Westbam in einem Atemzug nennen.
“Westbam z.B. erfindet gleich ein neues Wort; auch wenn es den Stil schon gibt, macht er halt einen neuen Stempel drauf und sagt, das ist jetzt mein Ding. Es geht mir nicht darum, einen Stil wie eine Ersatzreligion zu erfinden, ich will lieber am Cutting Edge von Musik sein. Also da, wo’s gerade passiert. Ob das Techno ist, Breakbeat, Drum’n’Bass oder was auch immer, Hauptsache, ich höre neue Töne. Und dann ist da noch die große Vokabel vom ‘Soundtrack fürs Leben’. Weil sich die Zeiten ändern, sind auch immer manche Styles mehr up-front als andere.”
Steigst du aus, wenn es dir zu kommod oder konform wird? Beispielsweise dieser groß inszenierte Mayday-Abgang, mit dem Prolog der Einstürzenden Neubauten als letztem Song (“Meint Ihr nicht: Wir könnten unterschreiben/ Auf dass uns ein oder zwei Prozent gehören und Tausende uns hörig sind (… ) Meint Ihr nicht: Wir könnten unsere Zügel zigtausendfach, in falschen Farben/ weitbewegend scheinen lassen /Wir könnten, aber – Krrr ccch´)
“Andere sollen die Kuh melken, bis sie umfällt, ich bin zufrieden, wenn ich ein bisschen Geld für mein Studio und ein paar Bücher habe. Overground oder Underground, ist mir egal, die Musik muss mich bewegen. Als ich nach der vorhergegangenen Mayday im Flieger saß und die Flyer las, dieses Gelaber von “Wir bauen den Megadom”, dachte ich mir: Man, wo soll’n das hingehen, das ist doch nicht das, was man ursprünglich mal wollte. So war es mit Techno, als diese Aufsplitterung passierte – mit der Minimalistenfraktion, die den guten Geschmack definierte und alles andere war Dreck. Wo es nicht mehr um Musik ging, sondern um so eine Sozialisation von Leuten, die in Schülerzeitungen immer die Loser waren´.
(Gelächter) Also der typische SPEX-Mitarbeiter?
“Das geht durch die Bank, das war bei der Groove das Gleiche. Die haben sich alle auf das eine Ding geeinigt, und die Herde ist ihnen hinterhergelaufen – du musstest nur Detroit sagen und schon warst du auf der intelligenten Seite, und kaum hast du gesagt, was weiß ich, No Respect-Records, schon hieß es “Ohhh, Loser! Böööse!” Was ich mal an Techno geschätzt habe, war das Freidenkertum. Als es wieder strukturiert wurde, wusste ich, okay, jetzt haben wieder die Schwachmaten das Heft in die Hand genommen.”
Wenige Worte zur Platte, heißt sie “Still”, oder “still”? Still was?
“Still Tanith. Die Leuten fragen immer, was man denn so macht, letztes Mal hätte man doch noch usw. Die einzige Antwort ist: Ich bin noch immer derselbe, still Tanith.´
Produzierst du mit einem klaren Feindbild, positionierst du dich und deine Musik gegen das Geschmäcktertum?
“Ne, das ist ein ganz organischer Prozess. Ich such Samples raus, verändere Beats und muss mir das immer wieder von vorn anhören – also so wie andere, ‘Klangklötzchenschieber’ irgendwelche Blöcke auf dem Bildschirm zu verbinden, funktioniert bei mir nicht. (…) Ich sehne die Möglichkeit herbei, die Musik mit Bildern zu versehen. Dann würden mich auch die Kritiker verstehen.”
Deine Musik lebt von, mit Verlaub gesagt, billiger Effekthascherei – Sirenen, knatternde Acid-Lines und diese kleinen Zäsuren, bevor es dann richtig losgeht, mit allen Spuren an und voll druff. Die Dramaturgie gemahnt an einen aufwendig produzierten ActionFilm von Tony Scott – gute Kamerafahrten, schöne Explosionen, feine Effekte und wenig Tiefgang.
“Genau das sind meine Vorlieben im Kino. Ich geh nur in Filme, bei denen es knallt und das Hirn an der Wand landet. Ich hab’s mal mit Tarkovsky probiert, da bin ich eingeschlafen.”
(Kulturelles Neunmalklügein, ein kurzer Ausßug zu Beat Takeshi und:) Aphex Twin gibt ja auch, nicht nur mit seinen Videos, der Action ein anderes Gesicht.
“lch finde, Come To Daddy ist Big Beat, und auch nicht besser als der Big Beat von jemand anderem. Mir ging es mit ‘Still’ darum, meine Breakbeat-Phase festzuhalten. Ich habe ja ein paar Jahre nur als Dj gearbeitet und musste mich erstmal in meinem Studio einfrickeln. Da fragt man sich dann schon, ob man seinen Stil schon gefunden hat. Ich habe während der Produktion Tagebuch geführt und da steht immer wieder geschrieben, “ich hab’ schon wieder so einen netten Song gemacht – ich darf nicht mehr so nette Songs machen.” Aber das ändert sich. Ich bin schon wieder woanders, mit den Sachen auf ‘Still’ bin ich schon längst durch.´