Thema der Woche 227: TikTok Techno

Pic Bringmann & Kopetzki

Erstmal Entschuldigung das ich kein neues Thema ausgeschrieben hatte, aber das war mir dann doch zu aktuell um nicht etwas dazu zu sagen.
Ich sehe da gerade einen pandiemiebedingten Genrationgap, wenn nicht gar Generationskonflikt, der halt nicht fliessend kam, sondern, durch die lange Schließung, plötzlich und erinnert mich ein wenig an die Karstadtraver, in Berlin auch gerne mit Antenne Brandenburg tituliert, Debatte so um die Jahrtausendwende, als eine neue Generation mit komischen Frisuren und noch seltsameren Klamotten in den Clubs auftauchte und schranzte was das Zeug hielt. Wer da also ohne Sünde ist, schmeisse den ersten Stein.

Angekündigt hat sich das zumindest musikalisch dem aufmerksamen Beobachter eigentlich schon vor der Pandemie, das die BpMs anzogen und die Musik wieder härter wurde . Hinzugekommen ist jetzt eigentlich nur, anstatt Frisuren und komischen Klamotten, dieser Kinkystyle mit 20€ Harness von Amazon, der die Zugehörigkeit darstellen soll. Und genau wie damals fragt man sich natürlich, woher kommt diese Einigung auf genau diesen Style? Ich hab da jetzt auch keine wasserdichte Erklärung für, aber da in dieser Generation Gendern und LBGTQ durchaus relevante Themen sind, liegt das eigentlich nicht so fern. 
Aber das sind Äußerlichkeiten, kommen wir mal zur Musik. Oft wird Hör ja als die Quelle des Übels auserkoren, was meiner Meinung nach nicht so ganz fair ist, da Hör ein ziemlich breites Spektrum abdeckt, aber während der Seuche natürlich gut diese Lücke gefüllt hat. Jetzt müßte man erstmal abstecken von wo bis wo TikTok Techno reicht, mir erscheint das Phänomen nämlich gar nicht so homogen, wie der Name es vermuten läßt, zwischen Creeds, Brutalismus 3000 und Narciss z.B. liegen Welten, auch wenn alle etwa gleiche Bpm Zahlen bedienen. Bei einigen weiß ich gar nicht was das mit Techno zu tun haben soll, das reicht ja von Pop über Trance bis zu NDW was Kids da in ihren Kabuffs während der Einsperrzeit zurückzogen und in Wut über vergeudete Jugend in immer schneller werdende Kickdrums kanalisierten. Was hätten sie sonst auch tun sollen? Hat irgendwer geglaubt, das die nach diesem langen Einschnitt auf die Idee kommen, wenn’s wieder losgeht und ich zum ersten Mal in Clubs oder auf Festivals kann, will ich locker zu House grooven? Zuhaus hatten die definitiv genug! Die Jahre 2020 bis 2022 haben daher u.a.mit das beste an hartem Techno produziert was in den letzten 30 Jahren so rausgekommen ist. Sehr vielfältig, unterschiedlich, fortschrittlich produziert und mit viel eigener Note. Das dabei auch auf Soundpaletten zurückgegriffen wurde, die man schon aus den 90ern kennt wundert mich nicht, mit dieser Musik ist diese Generation aufgewachsen, die gehört nunmal nicht nur uns Altsemestern, die haben die quasi mit der Muttermilch aufgesogen, wenn sie nicht sogar dazu gezeugt wurden. Und natürlich kommen da auch Peinlichkeiten wieder zum Vorschein, die man schon längst erfolgreich verdrängt hatte, Psy Basslines, Zuckertrance Pizicattos, pathetische Flächen, schlimme Vocals. Nicht das ich das gut fände, aber wer will’s ihnen verwehren? Electric Salsa, Eins Zwei Polizei, Ich möchte ein E-Kaufen, 3 Tage wach sind nun auch nicht gerade Gipfel der Techno Hochkultur. Also warum sollten die nicht die gleichen Fehler machen dürfen wie wir? Ich denke nicht das altkluges Gemecker, oder dieses ständige Ermahnen, was wirklich wertiger Techno sei, oder das man die Ursprünge und Erfinder honorieren, so wie es z.B. Derrick May gefühlt täglich auf Instagram macht, irgendwas positives bringt, außer das man bestenfalls so klingt wie man nie klingen wollte, wäre uns damals auch egal gewesen.
Apropos Instagram, ich finde ja da es eher Insta Techno heißen müßte, denn eigentlich spielt sich der Hauptanteil dort ab, zumindest was den Artistteil angeht. Das das Techno Influencer Programm, samt Dancemoves und seltsamen Humor jetzt auf TikTok stattfindet, sei’s drum, jede Zeit hat ihre Medien und wenn ich mir alte Frontpages oder sonstige Fangazetten anschaue, hat das oft auch nicht mehr Niveau gehabt, war aber seinerzeit ebenso einflußreich. Da hat eben auch die Demokratisierung der Produktionsmittel zugeschlagen und das Gatekeeping verändert. Da braucht man sich nur mal den aktuellen Groove Leserpoll anzuschauen, ich denke die werden sich in der Redaktion auch die Augen gerieben haben, was da passiert ist. Nicht unbedingt auf den vordersten Plätzen, aber da ist schon deutlich zu erkennen, das man nicht mehr die Deutungs- und Lenkungshoheit besitzt, die man mal hatte.
Und auch wenn die Musik oder Sets für mich manchmal echt schmerzhaft sind, dumm sind die neuen Protagonisten nicht! Letztens hörte ich z.B. dieses Interview mit Narciss auf Playful und er hat da schon ein paar Punkte, was z.B. Inklusion in Techno angeht. Was mir auch gefällt ist das diese ganze Riege neuer Artists offensichtlich gut miteinander auskommt und sich gegenseitig fördert, wenn man sich deren Kommunikation auf Insta z.B. anschaut. Egal wie unterschiedlich die Musik ist, keine Animositäten, wie es sie ja im Techno der älteren Generationen Gang und Gäbe war und ist.
Vermutlich muß man nun auch noch etwas den Blick auf die Veränderungen im Business werfen und da wird’s jetzt etwas tricky nicht in einen Shitstorm zu geraten. Die Macht hat sich noch weiter in Richtung der Agenturen verschoben, ohne Agentur geht heute so gut wie gar nichts mehr. Das ist einerseits aufgrund der Globalisierung von Techno, nicht nur wegen des immer größer werdenden Festivalrummels, einerseits verständlich, aber auf der anderen Seite eben auch bisschen gefährlich. Mir ist nicht nur ein Fall bekannt, wo ein Artist in Ungnade gefallen ist und die noch junge Karriere war vorbei, hat man selber keine Netzwerke war’s das dann. Überhaupt scheint mir die Rotation enorm zugenommen zu haben, bleibt abzuwarten was das mit der heute eh schon sehr kurzen Halbwertszeit in der Branche macht. Was mir da so zu Ohren von bezahlten Gigs auf Festivals, damit man die Leiter weiter hoch krabbeln kann, um dann die Investments der Agenturen per höherer Gagen wieder einzuspielen, bis zu den üblichen gekauften Followern schlägt eigentlich schon das verhasste Majorbizz, gegen das Techno ja eigentlich auch mal angetreten war. Das nimmt, meiner Beobachtung nach, schon ziemlich absurde Züge an, wenn man DJs sieht, die einem bis vor kurzem noch völlig unbekannt waren und plötzlich 70.000 Follower haben. Stehen dann ein paar Monate immer weiter vorne im Lineup und dann wird die Australien, Südamerika oder sonstwohin Tour verkündet, natürlich medial bestens dokumentiert mit Reels, Stories, Bildern, geschossen vom mitgereisten Management oder gebuchten Fotografen Vorort. Dabei habe ich habe ich das Gefühl das der Zenith diesbezüglich noch lange nicht erreicht ist, da der Grad der Kommerzialisierung immer neue Wipfel erklimmt, wie z.B. das Amelie Lens nun von der Agentur vertreten wird, die u.a. auch für Beyonce zuständig ist. Der Originalität dürfte das nicht zuträglich sein und in der Tat hören sich viele Sets zunehmend gleich an. Vieles Tracks die mich erreichen klingen schon sehr metoo nach Sachen die sich in den letzten beiden Jahren als erfolgversprechend herausgestellt haben. Gerne hat der Protagonist dann eine Maske auf, gern genommen auch ein Ø im Namen, hier mal bisschen mehr Trance, da mal bisschen mehr Raum im Rumble, dort noch mehr Querverweise auf irgendwelche Vintage Styles, aber das was es die letzten Jahre ausmachte, nämlich das man neidlos anerkennen mußte, das nach 20 Jahren liegenlassen durchaus im Bereich von über 140 BpM ein zeitgemäßes Update möglich ist, ohne dabei stumpf zu wirken und wirklich die vorderste Front dessen darstellte was produktionstechnisch innovativ ist, das scheint sich etwas ausgespielt zu haben. Was nicht heißen muß das es bald vorbei ist, die Energie die in diesen Tracks steckt wird wohl noch lange gebraucht werden, wenn man sich den Weltenlauf so anguckt. Einen so relativ schnellen Umbruch wie damals von Schranz auf Minimal erwarte ich daher mittelfristig eher nicht. Aber auch die Karawane zieht ja momentan eher weiter zu frühem 2000er Techno, der zwar kaum langsamer, aber eben grooviger und – schlimmes Wort- erwachsener daher kommt. Muß aber gestehen, das mir das immer noch lieber ist als diese anbiedernde Adoleszenzphase von Techno der letzten 20 Jahre, mit Feuilleton, bis es auch den Eltern gefällt und einem Maximum von 128 BpM. So ist die Sache wenigstens wieder klar, über 130 BpM ist es Techno, alles drunter eben nicht.

Pic Bringmann & Kopetzki

5 thoughts on “Thema der Woche 227: TikTok Techno”

  1. Klasse geschrieben und wieder mal aufschlussreich! Ich bleibe gespannt was die Zukunft noch so bereithält. Falls es mir nicht zusagt, gibt’s immer noch eine „Rückfalloption“ auf die Phasen, wo mir der Techno gut schmeckt/e.

  2. Ich denke, diese Entwicklung muss man gar nicht so hoch hängen. Ist halt wie die Schlaghose, die in wiederkehrenden Abständen immer mal wieder hervorgekramt und als der neueste Scheiß angepriesen wird. Mir ist aufgefallen, dass es im Bereich des Techno zur Zeit wieder etwas melodiöser und tranciger wird. Was meiner Ansicht nach auch ein wenig „feierbarer“ ist. Ich glaube, die Menschen brauchen das im Moment einfach. Warum auch nicht? Irgendwann dreht sich die Sache und die nächste Sau wird durchs Dorf getrieben.

  3. ich wollte eigentlich nur ein Herzchen da lassen und dass Plus wegmachen, weil mir sonst nix schlaues dazu einfällt. Man, bin ick doch etwas auf TT hängen geblieben?

  4. Ach, eines ist mir doch noch aufgefallen, was hier nicht angesprochen wurde: bei nicht soo szenenahen Verantstaltungen der elektronischen Tanzmusik hat sich die TpM, die Track Per Minute deutlich erhöht. Da kommen schon mal bis zu 4 auf Teschno ge-remixte Radio-Hits pro Minute in den Ohren an. Meiner Theorie nach hat das mit den Swipe-Gewohnheiten der letzten Jahre zu tun. 😉

    1. ja klar, die Taklung wird schon seit geraumer Zeit schneller, das hat ja schon bei EDM angefangen. Aber angefangen hat das eigentlich schon zu MTV Zeiten. Ich muß feststellen, das es für jüngere heute schon problematisch wird einen ganzen Film anzugucken, weil denen das alles viel zu langsam geht

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